Tag des offenen Denkmals

Wahr-Zeichen. Zeitzeugen der Geschichte

Sonntag, 8.9.2024

Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Moosburg Stalag © Christine Fößmeier

© Christine Fößmeier (Titelbild sowie alle weiteren Bilder)

Mottoblog 2022

#2 Von Gefangenschaft, Verfall und Vergessen

Team Tag des offenen Denkmals • 15. August 2022

Ein außergewöhnlicher „Tat-Ort“ – eine Barackenruine – findet sich im bayerischen Moosburg an der Isar und ist ein kniffliger Denkmal-Fall. Wer die Hintergründe nicht kennt, wird dem Gebäude in seinem äußerst schlechten Zustand wenig Wert beimessen. Doch die Geschichte hinter der bröckelnden Fassade ist sehr viel bedeutender, als auf den ersten Blick erkennbar wird. Hinzu kommen drei weitere Baracken, die gemeinsam die letzten Reste eines historisch bedeutenden Ensembles bilden. Was genau steckt hinter diesen Kulturspuren?

Der Moosburger Stadtteil Neustadt wurde auf einem Gelände mit schwieriger Vergangenheit erbaut. Wo heute Reihenhäuser, Geschäfte und Spielplätze ein idyllisches Bild abgeben, befand sich während des II. Weltkriegs ein Kriegsgefangenenlager. 1939 entstand das Kriegsgefangenen-Mannschaftsstammlager A im Wehrkreis VII, kurz Stalag VII A. Bis 1945 wurden hier mehr als 150.000 Kriegsgefangene registriert. Nach dem Krieg wurde das Lager nach Übernahme durch die Amerikaner zunächst zu einem Internierungslager für deutsche Zivilisten, ab 1948 entstand schließlich ein neues Wohnviertel für Vertriebene. Nur wenige bauliche Überreste des Kriegsgefangenenlagers blieben unangetastet oder wurden einfach in die neue Bebauung integriert. Doch der Grundriss des Lagers mit seinem Wegesystem ist bis heute ablesbar, die Straßennamen erinnern an die Nutzung als Flüchtlingsunterkünfte.

Vielschichtiges Konglomerat von überregionaler Bedeutung

Mit einer Förderung des Landesamtes für Denkmalpflege Bayern und der Deutschen Stiftung Denkmalschutz sollen nun die letzten Reste genau erfasst werden. Drei Wachmannschaftsbaracken und eine Gefangenenbaracke, die sogenannte Sabathiel-Baracke, sind heute noch hier zu finden und stehen mittlerweile unter Denkmalschutz. Die Gebäude sollen als Mahnmal und wichtige Zeugnisse der Kriegsgeschichte erhalten werden. Aufgrund des teils schlechten baulichen Zustands gibt es auch kritische Stimmen, die sich gegen den Erhalt aussprechen. Der „Denkmal-Tatort“ in Moosburg steht daher vor einer schwerwiegenden Entscheidung zwischen Verfall und Erhalt – zwischen Erinnern und Vergessen. Doch was ist es, das diese Gebäude erhaltenswert macht?

Die Journalistin und Kunsthistorikerin Christine Fößmeier und der Stalag Moosburg e. V. setzen sich zusammen mit vielen anderen Engagierten für die letzten vier verbliebenen Bauten des ehemaligen Stalag VII A ein.

„Wir haben eine Fülle an baulicher Originalsubstanz und historisches Inventar zusammen mit zahlreichen Dokumenten, Zeugnissen der Vergangenheit und sogar Kunstwerken von früheren Gefangenen – das ist in dieser Form einzigartig“,

so Fößmeier. Die Baracken sind mit ihren Kulturspuren trotz des teils schlechten Zustands einmalige Zeugnisse einer Vergangenheit, die viele persönliche Schicksale und Geschichten vereint. Christine Fößmeier erinnert sich an die eindrucksvollen Erzählungen von Nachkommen Kriegsgefangener, die die letzte Gefangenenbaracke trotz der akuten baulichen Gefährdung als wichtigen Ankerpunkt in der Verarbeitung ihrer Familienhistorie sehen. Italien, Frankreich und Russland – die Erinnerungen und der Bezug zu den letzten Überresten des Lagers gehen damit weit über die Grenzen Moosburgs hinaus, bis in die USA, nach Neuseeland und Australien.

DSD

Reste eines unbequemen Kapitels

Wer durch die Egerlandstraße spaziert, steht heute vor einer abgezäunten Barackenruine. Vandalismus und Verfall haben deutliche Spuren hinterlassen. Tischler Adolf Sabathiel nutzte die Baracke als Werkstatt, sodass sie in ihrer ursprünglichen Form erhalten blieb – was sie zu einem besonderen Zeitzeugnis macht. Nach der Schließung der Werkstatt wurde die letzte verbliebene Gefangenenbaracke von Moosburg sich selbst überlassen. Wer vor dem Betretungsverbot in der Baracke war, konnte im Inneren noch die Baukonstruktion der tragenden Holzbalken erkennen. Die Reste eines großen Schlafsaals, verputzte Heraklith-Platten, die zum Teil offen liegen, und ein eingefallenes Dach: Der schlechte Zustand steht sinnbildlich für ein vielfach vergessenes Kapitel der Geschichte.

„Der größere Fokus liegt häufig auf der Thematik der Konzentrationslager“, merkt Christine Fößmeier an. Das spiegelt sich auch in der Forschungslage wider. Zudem wurden an vielen Standorten die nicht sehr stabilen Baracken erst umgenutzt und dann umgebaut oder abgerissen, wie auch in Moosburg. Umso einzigartiger ist die noch verbliebene Kulturspur: Ein offener Saal mit Holzständerbauweise, in dem heute noch erfahrbar wird, wie hier einst 200 Personen in Stockbetten als Gefangene schwierige Zeiten durchleben mussten.

Alles hatte seine Zeit: Einblick in verschiedene Lebensabschnitte

Von der Seite der Opfer wechselt der Blick in Richtung Täter: Die drei schon um einiges aufwändiger gebauten Wachmannschaftsbaracken in der Schlesierstraße sind als Kasernenanlagen weniger von äußeren Schäden betroffen. Wer an eine der Türen tritt, wird ein kleines, spannendes Detail entdecken. Was hat es mit dem Haken aus Eisen auf Fußhöhe auf sich? Es ist ein Detail, das bei Christine Fößmeier einen bleibenden Eindruck hinterließ. „Es gibt noch insgesamt zwei original erhaltene Schuhabstreifer aus der Kriegszeit“, erklärt sie. „Hauptsache saubere Schuhe“ – ein bisschen Sinnbild für die deutsche Ordnung.

Der von Hannah Arendt geprägte Begriff „Banalität des Bösen“ greift auch im Zusammenhang mit all diesen alltäglichen Details, die das Bild der Nationalsozialisten von damals menschlich nahbarer machen. Ob Kleiderhaken, Toilettentüren, Waschbecken oder Pissoir – die vielen alltäglichen Dinge der Kriegszeit sind unverkennbar wertvolle Kulturspuren, die ein unnahbar dunkles Kapitel näherbringen. Farbschichten und Spuren aus unterschiedlichen Zeiten sind deutlich zu erkennen. Am Ende läuft ein Strang aus drei verschiedenen Phasen der Geschichte hier in den Räumen der Wachmannschaftsbaracken zusammen. „Alles hatte seine Zeit“, erläutert Christine Fößmeier, während sie von Entdeckungen berichtet, wie einem Rollstempeldruck in einem der Zimmer – unterschiedliche Lebensabschnitte und viele „Zeitenschichten“ sind in den Räumen zu finden. Durch die Anpassungen an die jeweiligen Bedürfnisse und Lebensbedingungen, wurde das Kasernengebäude zum Wissensspeicher persönlicher Geschichten. „Es gibt nicht nur negative Erinnerungen an die Zeit in den Baracken“, führt sie weiter aus. Denn die Gebäude boten nach ihrer Funktion als Gefangenenlager auch Geflüchteten eine Zuflucht und eine Zukunft. Auch diese Menschen haben ihre Spuren an und in den Denkmalen hinterlassen.

Ungewisse Zukunft?

Trotz des überregionalen Interesses und der Unterstützung durch verschiedene Akteure ist die Zukunft der Baracken noch nicht gesichert und wird von der Stadt Moosburg in Frage gestellt. Im Mai hat die Deutsche Stiftung Denkmalschutz gemeinsam mit der VHS Moosburg zu einer Diskussion über Chancen und Perspektiven dieses Erinnerungsortes geladen. Fachleute, Bürgerinnen und Bürger sowie Initiativen waren vor Ort, um sich gemeinsam über die Zukunft der Barackenbauten auszutauschen.

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Christine Fößmeier

Als freiberufliche Journalistin, Kunsthistorikerin und Künstlerin hat sich Christine Fößmeier interdisziplinär mit dem Thema Stalag VII A in Moosburg auseinandergesetzt. Seit 2014 ist das Thema rund um das Kriegsgefangenenlager in der bayerischen Stadt für sie, wie sie es selbst beschreibt, zum Lebensthema geworden.

© Christine Fößmeier