
Hurra, wir übernehmen ein Denkmal!
Gerettet: Eine Liegenschaft der Deutschen Stiftung Denkmalschutz
Hurra, wir übernehmen ein Denkmal!
Wie rettet man ein Denkmal? Wen und was braucht man dazu? Und wie läuft das eigentlich ab? Ist das wie im Fernsehen?
Im Fernsehen sind sie sehr beliebt: Gutshausretter und andere Denkmalenthusiasten, die mit viel Charme, einem schillernden und zupackenden Freundeskreis, ob des offensichtlichen Irrsinns des Unternehmens entsetzten Eltern und immer ohne Millionen in alte, denkmalgeschützte Gebäude ziehen, um sie zu retten und dort zu leben. Der Traum vom eigenen wiedererwachten Herrenhaus, das sich im Zeitraffer in einen begehbaren Manufactum-Katalog verwandelt – so mancher scheint ihn zu träumen. Zumindest zum Zuschauen reicht es – das zeigen die Quoten. Im TV wird fleißig geräumt und geputzt, Hämmer werden geschwungen, es staubt und kracht. Zwischendrin gibt es meist irgendeine Katastrophe, die alles in Frage stellt. Alles ist kaputter, als man dachte. Das Geld reicht nicht. Die skeptischen Eltern im sauberen Neubau scheinen recht zu behalten. Ihre sympathische Naivität droht den Enthusiasten auf die Füße zu fallen wie ein morscher Deckenbalken. Doch am Ende wird alles gut. Drinnen prasselt ein erstes Feuer im wiederhergestellten Kamin und die mittlerweile überzeugten Eltern vertilgen im gerade noch schimmeligen Wohnzimmer einen Bratapfel, während der Herbstregen auf das gerade noch rechtzeitig geflickte Dach prasselt.
Die Denkmal-Flüsterin
„Ist das wirklich so?“, will ich von Diana Bico wissen. Diana ist von Haus aus Architektin. Sie ist bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD) verantwortlich für den Neuzugang im Liegenschaftsportfolio: Das ehemalige Hotel Bellevue im Städtchen Rolandseck am Rhein. Diana überrascht mich mit einer erstaunlichen Mischung aus präziser Ingenieurssprache und fast therapeutischem Ausdruck. Wenn sie über das ehemalige Hotel Bellevue spricht, nähert sie sich ihm wie einem Wesen mit eigener Persönlichkeit, eigenen Rechten und eigenen Bedürfnissen. Einem Wesen, das es zu analysieren und zu vermessen, vor allem aber zu verstehen und zu erfühlen gilt. Diana ist die Denkmalflüsterin. Sie legt dem ehemaligen Hotel die Hand auf, ertastet alte Knochen und Muskeln, fühlt vergangene Wunden und Traumata, spürt längst vergangenem Leben nach und findet die Punkte, an denen sie neues einhauchen kann.
„So falsch ist das gar nicht, was im Fernsehen gezeigt wird“, antwortet Diana fast entschuldigend auf meine Frage. „Es geht nur alles viel, viel schneller als in Wirklichkeit.“ Diana macht eine Pause, bevor sie ergänzt: „In Wirklichkeit braucht man vor allem Zeit. Zumindest, wenn man es richtig macht.“ Beim letzten Satz wird Diana, die Denkmalflüsterin, ein klein wenig streng. Der Punkt ist ihr wichtig. Also nicht Schlüsselübergabe, Tür auf, aufräumen und den Hammer schwingen? Ich bin ein wenig enttäuscht. Was dauert denn da so lang? Wofür die ganze Zeit? Und was heißt „richtig“?
Erstmal Licht
Alles beginnt mit einer banal klingenden, aber folgenreichen Maßnahme: „An unserem ersten Tag im Hotel Bellevue haben wir erst einmal für Licht gesorgt“, erklärt Diana. Also: Lampen aufstellen, alle Ecken ausleuchten, sehen, womit man es tatsächlich zu tun hat. „Dann erschließt sich schon sehr viel. So entlocken wir dem Denkmal Stück für Stück seine Geheimnisse“, sagt Diana. Ich begreife: Eine Denkmalrettung beginnt wie beim Zahnarzt: Mund auf, Licht an, dann folgt schon die erste Diagnose der Baustellen. Hier muss dringend gesichert werden. Dort abgestützt. Dahinten scheint alles noch in Ordnung. Denkmalpflege ist also zunächst einmal Sehen und Verstehen. Keine Hämmer, kein Baustellenaktivismus. Da arbeiten geschulte Augen und Köpfe. Man braucht viel Erfahrung, damit der Blick die Geheimnisse des Denkmals tatsächlich lüftet. Der Laie sieht vor allem Chaos – dem Profi erschließen sich statische wie baugeschichtliche und stilistische Zusammenhänge. Was ist wichtig? Was ist Beiwerk? Was gehört zusammen und was nicht? Welcher Schaden geht an die Substanz, welcher ist bloß oberflächlich? Dem ersten Licht folgen Wochen und Monate detaillierter Forschungsarbeit am Denkmal. „Das ist das denkmalpflegerische Schwarzbrot“, schmunzelt Diana. „Aber das ist die entscheidende Phase so eines Projektes. Bevor wir uns für komplexe Maßnahmen entscheiden, müssen wir bis ins Detail verstehen, was wir da eigentlich vor uns haben!“ Ganz wichtig: Alle gesammelten Erkenntnisse, jedes gefundene Objekt, jeder Hinweis auf weitere Geheimnisse des Denkmals - alles wird sorgfältig fotografiert, dokumentiert, inventarisiert. Nichts geht verloren. Jedes Detail, jede kleine Information ist ein wichtiger Bestandteil der großen Geschichte, die das Denkmal erzählt. Noch mehr Schwarzbrot. Also doch nicht so ganz wie im Fernsehen.
CSI Bellevue: Profis und Punktwolken
Eine Sache ist Diana sehr wichtig: „Dafür braucht man ein starkes Team aus Fachleuten!“ Die Denkmalflüsterin ist also keine one-woman-show. Sie koordiniert eine Gruppe aus Statikern, Bauforschern, Restauratoren, Fachingenieuren, Handwerkern und Architekten – allesamt hochqualifizierte, erfahrene Fachleute. Dafür greift sie auf Ressourcen der DSD zurück, aber auch auf externe Partner und Dienstleister. Eine wichtige Rolle spielen auch die lokalen Ortskuratoren der DSD. Sie kennen sich vor Ort aus und sorgen für ein stabiles Netzwerk mit den Beteiligten in unmittelbarer Umgebung, von den Nachbarn bis zur Lokalpolitik. Das ist schon ein bisschen mehr wie im Fernsehen – nur deutlich komplizierter. Keine leicht versponnene Enthusiastentruppe mit besorgten Eltern, eher eine Gruppe professioneller Sonderermittler am Tatort Denkmal – „CSI Bellevue“ schießt mir als Titel durch den Kopf, die Denkmalrettung als dramatischer TV-Krimi.
Dafür braucht man ein starkes Team aus Fachleuten!
Fernsehreif wird es, als Diana begeistert von der „Punktwolke“ erzählt. Die „Punktwolke“ ist nämlich die Grundlage von fast allem, was im Hotel Bellevue während der Denkmalrettung passiert. Sie ist kein Naturphänomen, sondern eine virtuelle Wolke. Eine schier endlose Wolke aus Daten, aufgenommen von einer Drohne, die das CSI Bellevue einmal rund um das ehemalige Hotel und dann durch seine Innenräume hat schweben lassen. Der Kamera der Drohne entgeht nichts. Kein Maß, keine Oberflächenstruktur, kein Detail. „Die Punktwolke ist für uns von unschätzbarem Wert“, erklärt Diana. Aus ihr entsteht im Rechner ein virtuelles, dreidimensionales Modell des Gebäudes. Die Denkmalschützer können am Rechner sitzend um das Gebäude herumfliegen, es aus allen Winkeln betrachten und Oberflächen und Strukturen begutachten und analysieren, die man sonst nur mit Gerüsten und Kletterwerkzeug erreichen würde. „Ein bisschen ist das wie in einem Videospiel“, sagt Diana. Nur dass das hier kein Spiel ist. Es geht um die Grundlagen für ein denkmalpflegerisches Großprojekt, bei dem es auf sauber recherchierte Grundlagen ankommt. Alle Fehler, die jetzt passieren, ziehen sich durch den Rest des Projekts.
Das Hotel als Punktwolke, CSI Bellevue – unbedingt fernsehreif. Aber aus den Fernsehdokus kenne ich das nicht.
Überraschungen und Plot Twists
In einer Sache übertreibt das Fernsehen nicht, erklärt Diana: „Ein Denkmal überrascht einen immer wieder. Hinter jeder Wand, unter jeder Farbschicht können sich neue Spuren zeigen. Alte Konstruktionen, handwerkliche Details, spätere Eingriffe.“ Und das sind nur die normalen, sogar die schönen Überraschungen. Die anderen gibt es natürlich auch: „Manchmal stößt man zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt auf bislang versteckte Schadensbilder, mit denen man dann umgehen muss. Man muss gelassen bleiben und den Blick offenhalten.“ Aber gerade diese Mischung aus Erkenntnis und Herausforderung, aus systematischer, planbarer Arbeit und Umgang mit dem Unerwartetem und Schwierigen macht diese Arbeit so faszinierend, fange ich an zu verstehen.
Dieser ganze Prozess vom ersten Augenschein im Licht über die Punktwolke, viele positive, aber auch frustrierende Überraschungen bis zu einer fertigen denkmalpflegerischen Diagnose wird sich im ehemaligen Hotel Bellevue in Rolandseck am Rhein ein Jahr lang hinziehen. Ein Jahr lang sichten, forschen, analysieren von Schicht um Schicht, dokumentieren und inventarisieren – ein Jahr lang Grundlagen für die dann erst beginnende „echte“ Arbeit am Denkmal – ein Jahr lang Schwarzbrot. Das muss man wollen. Aber wenn man es will, ist es ungemein befriedigend. Das merke ich Diana deutlich an, deren Augen leuchten, als sie erklärt: „Die DSD hat ein einzigartiges Stück Bau- und Kulturgeschichte übernommen, um ihm eine Zukunft zu geben. Das bedeutet eine große Verantwortung denen gegenüber, die das Haus gebaut und darin gelebt haben.“ Und, nach einer kleinen Pause: „Gleichzeitig ist es wunderbar, so nah an der Geschichte dieses Hauses zu sein, in dem jedes Detail, jede verborgene Farbschicht, jeder Türgriff, jede Fliese und jedes Fenster etwas zu erzählen hat. Diese Geschichte erkunden wir, um sie weiterzuerzählen.“ Denn die DSD betreibt dieses Großprojekt nicht für sich selbst. Möglichst viele Menschen sollen in die Geheimnisse des ehemaligen Hotels Bellevue in Rolandseck am Rhein eingeweiht werden und seine Geschichte erfahren.
Die DSD hat ein einzigartiges Stück Bau- und Kulturgeschichte übernommen, um ihm eine Zukunft zu geben. Das bedeutet eine große Verantwortung denen gegenüber, die das Haus gebaut und darin gelebt haben.
Wie endet diese Geschichte? Vorerst mit einem Termin beim DSD-Vorstand, irgendwann gegen Ende 2025. „Dann werden wir die Ergebnisse der Forschungs- und Erkundungsphase vorstellen. Auf dieser Grundlage entsteht dann das zukünftige Nutzungskonzept. Dann wird auch geklärt, wie der weitere Projektverlauf aussehen wird“, erklärt Diana.
Nur ein vorläufiges Ende also. Denn dann geht es erst richtig los.








